„Wir werden heute den Nachweis führen, dass man ganz viele Autorinnen und Autoren einladen – und trotzdem eine wunderbare Preisverleihung feiern kann! Herzlich willkommen beim Deutschen Drehbuchpreis 2018! Dies ist der Abend der Erzähler – es geht uns um Wertschätzung, mehr noch aber um Erkenntnis, was Autoren leisten und dass die Voraussetzung jedes guten Films ein gutes Drehbuch ist. Hier nominiert zu sein, bedeutet schon ein Maximum an Wertschätzung. Und weil auch ich ein Erzähler bin, erzähle ich Ihnen jetzt mal, wer hier heute Abend am Start ist: Visar Morina mit „Exil“ - er hat es glücklicherweise hierher geschafft. Torsten Schulz mit der Adaption seines eigenen Romans „Nilowsky“ - ihm wird man wenigstens nicht vorwerfen können, er hätte die Vorlage nicht verstanden. Schließlich Thomas Wendrichs Drehbuch mit dem schönen Titel „Je suis Karl“ - Sie merken schon, wir können Ihnen heute Abend ein gewisses Niveau nicht ersparen.
Ich begrüße Sie auf dem Hauptstadtflughafen der Gedanken – mein Name ist Sebastian Andrae, und ich muss als Moderator heute Abend ausnahmsweise für meine eigenen Pointen geradestehen - das tun sonst wunderbare Schauspielerinnen und Schauspieler für mich.
Liebe Frau Staatsministerin, wir sind so froh, Sie heute hier zu haben – hätte ja auch ins Auge gehen können, und ein Typ von der FDP hätte uns heute Abend erzählt, dass Film eh viel zu teuer ist. Es war übrigens okay, dass Sie sich Zeit gelassen haben bei den Koalitionsverhandlungen. Wir leben in einer Stadt, die manchmal den Eindruck macht, dass sie gar nicht regiert wird – geht auch! Immerhin: ein Applaus auch für die Aufstockung des Medienboard-Etats durch die Filmstadt Berlin! Sie, liebe Frau Ministerin, sind vorangegangen mit einer großartigen Erhöhung der kulturellen Filmförderung durch Ihr Haus. Eigentlich müsste man Ihnen auch das Gesundheitsministerium zuschlagen; Sie haben vielen Filmschaffenden eine Depressionstherapie erspart, und auch heute Abend sehen Sie zu Recht in strahlende Gesichter.
Ich habe die Irritation mitgekriegt nach meinem FDP-Witz – Sender und Botschaft müssen übereinstimmen, alte Comedy-Regel. Ist mir jetzt auch aufgefallen: ich bin so ähnlich angezogen wie Christian Lindner, aber ich bleibe bis zum Schluss – versprochen! Der eine oder andere hat es vielleicht mitgekriegt: Die Branche hat sich in den letzten Wochen überraschend intensiv mit der bisher eher obskuren Berufsgruppe der Drehbuchautoren beschäftigt. Ein Beruf, der von Rechts wegen im Schatten zu stehen schien, jäh ins gleißende Rampenlicht gerückt – wie konnte das passieren?
Die Entsorgung von Drehbuchautorinnen und -autoren aus Programmheften, Premieren, die Nicht-Nennung in Film-Kritiken und teilweise sogar im Nachspann ist in eine Krise geraten. Es läuft nicht mehr rund. Die alten Begründungen ziehen nicht mehr so recht: „Es war kein Platz im Programmheft“ (stattdessen aber für sämtliche Laiendarsteller des indonesischen Familiendramas, die alle denselben Nachnamen haben). „Sorry, ich hab Dich einfach vergessen bei der Dankesrede“ (nicht aber die Redakteurin, mit der dieser Regisseur den nächsten Film machen will!). „Du, das wär aber auch ganz schön weit zur Premiere mit dem Flixbus.“
Bitte! Das wirkt einfach abgestanden! Viele befürchten auch, dass Autoren auf Filmpartys einfach keinen Smalltalk hinkriegen, und ja, wir sind oft zu tiefgründig, aber es geht! Man kann Partytalk und Anspruch verbinden, wie Groucho Marx mit seiner legendären Eröffnung: „Ich vergesse nie ein Gesicht – aber in Ihrem Fall würde ich gern eine Ausnahme machen.“ - so viel Direktheit hält nicht jeder aus. Hektisch sucht die Branche nach NEUEN Argumenten, um Autoren nicht einladen zu müssen. Eine Task Force autorenkritischer Regisseure, Festival-Chefs und Redakteure haben dafür jetzt einen Writer's Room eingerichtet – um festzustellen, dass sie nicht wissen, was man darin eigentlich macht. Sie hätten mich fragen sollen. Gute Autoren liefern auf Wunsch auch die eloquentesten Begründungen für die eigene Abschaffung.
Einzige Bedingung: Ich werde NICHT namentlich genannt. Hier kommen meine TOP TEN der neuen Begründungen für Ignoranz gegenüber Autoren –
10. Autoren haben doch so viel Fantasie – Sie können sich Ihren Namen dazu denken!
9. Autoren stehen am Anfang – am Ende stehen sie bloß im Weg.
8.Drehbücher sind doch nur Vorlagen – es hängt sich ja auch keiner die Bauanleitung neben das IKEA-Regal, wenn es fertig ist.
7. Den Nachspann liest eh keiner. Das Drehbuch haben wir übrigens auch nicht gelesen.
6. Wir haben viele nicht im Nachspann genannt. Meine Oma auch nicht, und ohne die wäre ich nicht da, wo ich heute bin – im Nachspann.
5. Die Russen haben unseren Nachspann gehackt.
4. Also, unsere neue Drehbuch-Software hat bei den Änderungen nicht gemeckert …!
3. Schreiben können trägt doch die Belohnung in sich selbst – was für ein toller Beruf! Ist doch ein Beruf, oder?
2. Es gibt eine alte geometrische Begründung für den TATORT-Nachspann – schon Euklid wies nach, dass mindestens ein Viertel eines blauen Quadrats frei bleiben muss.
1. Autoren schaffen Welten, wissen wir – aber diese haben sie nun mal nicht erschaffen!
Apropos Welten erschaffen – ich will hier keine unangemessenen Vergleiche anstellen, aber als GOTT die Zehn Gebote diktiert hat … ich meine, ich war nicht dabei, ich kenne die Szene nur aus Bibel-Filmen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Moses eine große Diskussion angefangen hat – mit dem Schöpfer! „Hat schon viel Schönes, aber müssen es zehn Gebote sein? Reichen nicht acht? Ich würde gern mehr über Bilder erzählen.“
Nein! Er wusste halt noch, mit wem er zu tun hatte: Mit dem Typen, der sich ALLES AUSGEDACHT hat!
„Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib – ja, okay, Du hast gut reden, aber hast Du Rachel mal aus der Nähe gesehen?“ - „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir – sorry, Herr, aber wenn Du ausfällst, brauchen wir zumindest ein Stand-In.“ - „Du sollst nicht töten – versteh ich, Jahwe, aber wir müssen im dritten Akt die Spannung halten. Ich hab mal eine REGIEFASSUNG angefertigt ...“
- so war es nicht! Moses hat das Skript an sich genommen, sich an den Abstieg gemacht und seinem Team die ganze Sache erklärt. Und sie hat bis heute gehalten!
Mitsprache ist etwas Schönes (also, nicht in meiner Familie, aber rein theoretisch) – aber sie sollte immer auf Gegenseitigkeit beruhen. Liebe Regisseure, was soll denn passieren, wenn Autoren beim Casting dabei sind? Die meisten von uns sind schlank, sie passen gut mit auf die Couch. Und was ist das Schlimmste, was bei Leseproben passieren kann, wenn Autoren anwesend sind? Dass sie darauf achten, dass alle lesen können?? Mitsprache! Gut für beide Seiten! Aber davon sind wir noch weit entfernt. Bisher verstehen die meisten Autoren unter „Rohschnittabnahme“, dass sie sich die Wurstreste vom Catering mit nach Hause nehmen dürfen …
wir brauchen mehr gemeinsames Verständnis für das Entstehen eines Films aus der Keimzelle Drehbuch, und wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass am Drehbuch und damit an den Autoren die Existenz der ganzen Branche hängt! Und daher ehren wir heute Abend genau das: Gute Drehbücher. Gute Autoren. Trommelwirbel! Wer keine Trommel dabei hat, klopft sich auf die Schenkel, aber bitte die eigenen – DIE Debatte wollen wir heute Abend nicht auch noch befeuern!
Unsere Auseinandersetzung über Wertschätzung der Autorinnen und Autoren wurde ja überlagert von einer anderen weltweiten Diskussion: Übergriffe auf Frauen in der Filmbranche. Ist es so falsch zu vermuten, dass die gleichen Machtstrukturen der Egomanie und den Stereotypen Vorschub leisten, unter denen wir alle leiden?
Diese Machtstrukturen schützen immer die Falschen, und sie machen Filme niemals besser. Ich habe mich dabei an den klassischen Vampirfilm erinnert gefühlt. Auch dessen Hauptfiguren hilft das Dunkel: Uralte Untote, die ihre Jacketkronen in die Hälse wehrloser schöner Frauen schlagen, ihre Männlichkeit mit Gewalt erhalten müssen, die ihre Substanz aus dem Leben anderer beziehen.
Schreiber und Frauen, wenn nicht ohnehin in Personalunion als Autorinnen, haben eins gemeinsam, dass sie meistens keine Macht haben, dass sie der Macht misstrauen, dass sie lernen müssen, mit der Macht umzugehen, dass sie Machtstrukturen verstehen müssen, um nicht schutzlos zu sein. Und lassen Sie es mich klar aussprechen: Kein „Schattenmann“ ist es wert, dass man eine Frau im Schatten ihrer zerstörten Existenz überlässt.
Auch die Hochburgen unseres Fernsehens erschienen mir in dieser Affäre plötzlich wie düstere Festungen, in denen die Wahrheit gefangen gehalten wurde - im Vampirfilm hilft es, die Sonne aufgehen zu lassen, um den Spuk zu vertreiben.
Werden wir hellhörig! Lassen wir das Tageslicht herein! Autoren sind immer für die Freiheit eingetreten. Und wer heute noch davon redet, Film sei Krieg und Diktatur am Set eine Notwendigkeit, wer mir also erzählen will, Krieg und Diktatur müsse es geben – der hat mir auch sonst nichts zu erzählen.
Und ich kann es nicht mehr hören oder lesen von einigen meiner Geschlechtsgenossen, in social media: wie man denn jetzt umgehen solle mit Frauen; man kenne sich ja gar nicht mehr aus! Clark Gable hingegossen in den Armen von Vivien Leigh … das Bond-Girl rettet 007 und bei der „Bourne Identity“ stellt sich heraus, dass Matt Damon doch eine Frau ist – wer um die Reinheit der Geschlechterrollen fürchtet, der sei beruhigt:
Die meisten Frauen gehen ganz gern durch Türen, die man ihnen aufhält – sie stehen einfach zu oft vor verschlossenen.
Und ein Tipp, mit Frauen geht man so um, wie man möchte, dass andere mit der eigenen Tochter umgehen, der eigenen Schwester, der eigenen Mutter. Und wenn Sie zu Ihren Töchtern, Ihren Schwestern UND Ihrer Mutter ein mieses Verhältnis haben – dann behandeln Sie Frauen einfach so, wie Sie selbst gern behandelt werden wollen. #kategorischerimperativ. Ich habe Sie gewarnt: Ein gewisses Niveau wird heute Abend nicht unterschritten -
dies ist die Nacht der Erzähler. Seien Sie unsere Gäste! Keine Angst, wir tragen keine Knoblauchketten um den Hals, wir glauben, das sei wirklich Schmuck. Und wir treiben niemandem einen Pflock durchs Herz. Das erledigen unsere Geschichten. Träumen wir gemeinsam weiter, dass es besser werden kann, oder wie Walt Disney, der größte Realist unter den Träumern, es ausgedrückt hat:
„There is no reason NOT to wish upon a star ...“