Shakespeare pitcht

„Nehmen Sie Platz. Geht das mit Ihrer, äh, Strumpfhose ...? Also, wir suchen noch was für den Mittwochabend, Herr Shake, ähm ... kann ruhig ´ne etwas düstere Färbung haben jetzt ...“

„Düster? Wohlan! 's ist Nacht, und Nebelgrau umfängt die Sinne ... aus dunkler Zeit taucht Schottland nun empor ... der Than von Cawdor greift nach Königswürden, mit rücksichtsloser Faust ...“

„Bitte wer?“

„Der Than von Cawdor. Macbeth sein Name ...“

„Mac ist gut. So eine Art Schlossherr, nehme ich an, Herr Spears? Der wär’ gut für den Sonntagabend ...“

„... am Tag des Herrn trieft vom Blute noch sein Schwert, der Unschuld’gen, die er gemeuchelt ...“

„So düster nun auch wieder nicht! Mord ist bei uns ja am Freitag. Und Montag bis Donnerstag ... und Samstag ... und Sonntag spät ... aber wir suchen durchaus auch mal was ohne Todesfolge, haben Sie vielleicht was Leichteres ...?“

„Was Leichtes? Irrwitz’ger Herzensreigen einer Sommernacht, ein Kobold treibt bös’ Schabernack mit den Verliebten ...“

„Liebe - schon mal super. Aber was genau meinen Sie mit irrwitzig? Unsere Zuschauer sollen sich schon wieder erkennen, Herr Shake ... Herr Spier ... sind das ganz normale Leute?“

„Keiner erkennt keinen. Durch Liebeszauber, Feenspruch verliebt die Elfenkönigin sich in den Esel ...“

„W-Was? Stop!“

„... der Feenkönig sich in einen Knaben ...“

„Halt! Nein!! Knabe? Esel? Soll das irgendwie so in eine sodomitische Richtung ...? Wir haben vormittags diese Tiersendungen, aber das muss alles immer schön sauber ...“

„Das ist der Lauf der Welt, ich schildere ihn nur. Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt.“

„Kann sein. Aber nicht in unserem Programmschema.“

„Nun, alles geht gut aus, und in dem sanften Glanz der ersten Morgensonne umfangen sich die wahren Paare wieder.“

„Happy End. Schön. Brauchen wir. Sagten Sie nicht Schottland? Schottland ist gut. Sonntagabend! Lord Mac lebt auf seinem einsamen Anwesen an der schottischen Küste, er ist Witwer ...“

„Mitnichten – ist’s doch Macbeths Frau, die Königin, die ihn in hoffärt’gem Stolz zur Untat frevlerisch verlockt ...“

„Witwer. Sonntagabend. Punkt. Vorschlag: Lord Mac, einsam und verbittert, aber gut erhalten, überfährt mit dem Landrover fast eine Wandererin, die sich als seine verstoßene Tochter herausstellt ... sie arbeitet inzwischen als Fachärztin für Schleimbeutelentzündungen in der Großstadt, aber ihr Herz zieht sie immer wieder ins wilde, ungezähmte ... äh ...“ (zur Kollegin) „Bringst mir eine Latte laktosefrei mit? Ganz lieb!“ (wieder zum Autor) „Na? Da geht doch was. Vater – Tochter – ist doch ein Super-Setting!“

„Drei Töchter.“

„Dann eben drei. Sie sind der Kreative.“

„Der König altert, verfällt der geistigen Umnachtung ...“

„Alt ist okay. Geistig umnachtet ist nicht okay. Unsere Zuschauer, na, egal. Und es muss ja nicht gleich ein König sein, wir leben in einer Dings, Demokratie ... wie wär’s mit einem Grafen?“

„... betrogen von den Töchtern, irrt er im wüt’gen Sturm über die öde Heide, doch schlimmer ist der Sturm im Geist, und auf dem Weg liegt Wahnsinn ...“

„Wahnsinn! Hören Sie, Herr Schäker ... Schräger ... Schlenker ...“

„Shakespeare.“

„... wie auch immer: Wir machen hier Fernsehen! Wir haben hier doch was gemeinsam erarbeitet! Schottland! Vater! Tochter! Gebrauchen Sie mal ein bisschen Ihre Fantasie! Dafür haben wir doch Autoren!“

„Der Rest ist Schweigen.“ (erhebt sich)

„Wenn Sie jetzt bockig sein wollen. Ich will Ihnen was sagen, Herr Dings, Schleckbier: Drehbuchschreiben ist Zusammenarbeit. Sie haben ja ganz nette Ausgangsideen, aber was der Zuschauer will, entscheiden immer noch ...“

(Tür knallt)

„... wer hat dem eigentlich einen Termin gegeben?“

© Sebastian Andrae, 07. Juli 2017

(Bild: iofoto)

Sebastian Andrae